Vom verlorenen Pfad und dem zweiten Brexit

Dieses Anwesen zu verlassen fällt nicht leicht. Wir werden bald feststellen, dass es ein Schnäppchen war für den Preis Dach, Dusche und Frühstück zu bekommen.
Frühstück ist ein guter Punkt. Was die Briten zum Frühstück essen freut höchstens Hartgesottene. Blutwurst gebraten, Eier und noch mehr Eier gebackene Bohnen und Fisch. Ein wenig schräg und verwirrend, man leitet von den Gerüchen Mittag und Abendessen her, es ist aber doch Frühstück. Es gibt auch Gemüse und Obst und Säfte und und und…Gott sei dank!
Frisch gestärkt geht es direkt mit Steigungen los um überhaupt das Gelände zu verlassen. Ich will nicht permanent darauf rumreiten aber diese Steigungen sind das einzig schlimme. Gefühlt würden wir 100km am Tag schaffen ginge es geradeaus und würden nicht Scherzkekse die Schilder verdrehen.
Auf der Route zu bleiben ist auch ohne diese Scherze nicht ganz leicht. Das GPS-Gerät kennt die Routen des Nationalem Cycling irgendwas nicht, so dass Karo uns mit zwei Karten und dem GPS navigiert. Eine Karte ist für den Überblick und dort sind die Campingplätze eingezeichnet, eine Karte ist für die Fahrradwege und das GPS zur Absicherungen und um uns wieder zurückzuführen falls man die Route verliert. Die Routen sind mit kleinen vielleicht Handflächen großen Aufklebern markiert, ein fingergrosser Pfeil zeigt Richtungsänderungen und manchmal sind sogar Entfernungen angegeben. Gestrüpp überragt die Schilder gerne, oder andere Aufkleber oder andere Schilder.
Heute erwischt es uns richtig mies. EIn Schild wurde verdreht, leider merkt man erst recht spät – an Kreuzungen oder Gabelungen oder in Sackgassen.
Genau in einer solchen stehen wir nachdem die ersten 30km wie geflogen vergingen und wir im Fluss mit der Straße unseren Weg bahnten. Nur leichte Steigungen und gefühlt mehrere km leichte Schussfahrt. Wir witzeln schon, dass wir nach nur 3 Stunden die 60 km voll haben und dann geht es los.

Wir sind gerade eine lange und steile Steigung runtergefahren und sind in einer Sackgasse. Nicht passieren! Privatgelände! You shall not pass! Toll.
Also umdrehen zurück zum letzen Schild. Es zeigt deutlich in die Richtung in die wir gefahren sind, vielleicht irgendwo was übersehen? Wir fahren die Straße rauf une wieder runter, nichts. Da bisher alle Schilder stimmten sind wir dumm genug zu glauben, wir hätten unten etwas übersehen. Also wieder runter. Schussfahrt. Wind um die Ohren, Sackgasse! Ja läuft. Ne da rechts, da ist ein Pfad.

Die Räder passen gerade durch. Das GPS sagt in 200m wird der Pfad auf eine Straße stoßen. Also durch da. Der Pfad ist total zugewuchert, Gang 1 und Schritttempo. Ein tierischer Kampf um jeden Meter bis zu einem Gatter. Eine fiese Konstruktion. Zu hoch um das Rad rüberzugeben zu schmal um es durch zu schieben. Ende. Hier geht es sicher nicht weiter. Wir verfluchen den national Cycling was auch immer und drehen um. Die Moral ist im Keller. Erst zurück durch das Gestrüpp und dann noch den Berg wieder hoch. Krass ist das anstrengend. Mit letzter Kraft kommen wir oben an, und fahren wieder zu dem Schild.
Ich gehe in ein Hotel und frage nach, sie wissen nicht mal dass es Fahrradstrassen gibt. Damit sind sie in England nicht allein. Gut also zurück zum Schild, eine Route mit 6 km Umweg über vielbefahrene Straßen im Gepäck komme ich zu Karo zurück.
Eigentlich wollten wir gerade diesen Umweg, der obendrein noch einiges Kilometer auf der schon gefahrenen Route zurückführen würde, fahren, als wir beschließen doch noch mal zu suchen.

Hier an der Kreuzung gibt es zwei Straßen, die wir bisher nicht in Betracht gezogen haben. Also links rein und in einer Sackgasse. Zurück und die letze mit letzter Hoffnung abgefahren. Gott sei dank kommt früh eine Kreuzung und damit der wegweisende blaue Aufkleber mit unserer Nummer. Per Walkie Talkie informiere ich meine Begleitung mit dem Funknamen Herta darüber.

Gott sei dank waren wir hartnäckig. Die Kräfte sind zwar geraubt aber die Moral kommt zurück. Eine Stunde hat uns dieser Scherz gekostet, ich will nicht daran denken wo wir schon hätten sein können.
Die Strecke ist schön. Geschwungene Hügel saftige Wiesen und der Geruch von Feld und Land. Nein keine Gülle. Einfach lecker. Leider führt der Weg einen weiteren Nachteil mit sich, er verläuft in einem breiten bogen, so dass die bestimmten km nicht besonders genau sind. Bei km 65 beschließen wir im nächsten Ort zu campieren. Der lässt allerdings ordentlich auf sich warten. 17 Meilen sind angeschlagen. Ufff. Langsam brennt das Sitzfleisch. Druckschmerz vom allerfeinsten. Ich unterbreche das Sitzen wann immer es geht und hoffe auf Besserung.

Langsam haben wir uns daran gewöhnt, dass unsere Ziele hinter einer Verkettung von Hügeln liegen. Heute ist es nicht anders. Die ersten beiden gingen noch, doch dann kommt eine Brücke über eine Brücke. Der Anstieg ist brutal und man sieht wie lang er ist. Nach die Metern machen die Beine zu. Ich kann nur noch absteigen und sehe in Karos Augen, dass es ihr nicht anders geht. Diese Überführung hochzuschieben dauert 20 Minuten. Bis heute wusste ich nicht wie kaputt man sein kann und während der Zeit als Koch war ich einige Male völlig zerstört.

Vom höchsten Punkt sieht man den weiteren Verlauf und das Örtchen. Huntingdon. Huntingdon wir kommen. Es geht richtig geil bergab und dann um eine Kurve. Und ja, danach geht es wieder bergauf. Ich will den Schwung mitnehmen, nach der Kurve dann eine weitere Überraschung. Die Straße wird einspurig, es ist eine Baustelle mit einer Ampel die mich angrinst und sagt für dich ist jetzt hier rot. Vollbremsung. Runterschauten und den hoffentlich letzten Hügel für heute.

Wir entschließen uns in Hotels zu fragen. Die Preise im Land sind unglaublich. Unter 80£ nichts zu machen. Also geht es doch zum Camping. Ein Platz ist schnell gefunden, nur die Rezeption ist mal wieder nicht besetzt. Auf eine Karte wird man an Parzelle 9 zu Bill verwiesen. Bill ist 65 und seine Frau, er ist unterwegs. Wir buchen, bauen auf und stellen erst eine Stunde spät fest, dass wir neben einer Autobahn campieren. Wir werden Ohropax brauchen.

Wir gehen einkaufen und in einem Lokal fett essen, also wirklich einfach nur Kalorien. Laut Computer haben wir 4500 Kalorien verbraucht und nur ein paar Bananen und Schokolade gegessen.
Alles was jetzt noch passiert ist surreal. Vor dem Fenster des Imbiss wird ein Mann verhaftet. Die Hecktür einer Polizeiwache wird geöffnet und er wird in einen Käfig gesetzt. Wir gucken uns an und beiden fällt der typ ein, der mit einem rosa Rad an unserem Zelt vorbei gefahren ist und uns komisch vorkam. War er das? Die Polizei rückt ab, zurück bleibt ein rosa Fahrrad… Verrückte kleine britische Welt.

Auf dem Heimweg sehen wir immer mehr Englandtrikots an tätowierten Körpern. Uns zieht es nur noch ins Zelt. Der Halbzeitstand wird mir geschickt. Den zweiten Brexit in Urlaub eingestielt. Island ahuu!!! Dass sie gewonnen haben sehe ich erst am nächsten morgen….