Mit dem Rad von Colchester nach Harwich

Als wir in dem ultracharmanten und nicht weniger alten Hotel aufgewacht sind (erbaut im 13. Jahrhundert), lachten wir noch: ” heute wird es nicht viel zu berichten geben, nur eine kurze langweilige Etappe und dann die Zeit in Harwich rumbringen.” So unsere Prognose für den Tag.

Es sollte anders kommen und spannend werden als kurz vor dem Check-In auffiel das der Herr im Gespann seinen Personalausweis verloren hatte. Doch von Anfang an…

Die Strecke nach Harwich war nicht mit Hügeln überseht, es war nur selten windig und es schien die Sonne. Kein Grund zu klagen also. Die Strecke führte vorbei an idyllischen Kanälen, an kleinen Häfen und Hafenstädten und durch Wälder und Wiesen. Eine wunderschöne Strecke ohne Strapazen oder Qualen. Nach nur 3 Stunden erreichten wir die Ausläufer von Harwich und kehrten in ein Café ein. Guter Veganer Kuchen und Kaffee stärken und für den Rest. Wir gehen an den Strand, schauen uns ein Cricketspiel an und lachen über die Trottel, die am Samstag in einer nicht endenden Schlange vor dem Wertstoffhof stehen und zunehmend die Nerven verlieren.

Wir beschließen gegen drei näher zum Hafen zu fahren und einen Pub zu suchen. In dem kleinen Ort direkt am Hafen, werden wir fündig. Eine wie gewohnt freundliche Angestellte lässt uns durch einen Seiteneingang die Fahrräder in Sicherheit bringen und wir fangen an mit Cider und Wasser. Ein paar schräge Vögel sitzen an der Theke, trinken und schauen Tennis – um ihre Sportbegeisterung zu unterstreichen gehen sie alle 10 Minuten rauchen.
Es geht über in Runde zwei. Cider, Wasser und Crisps, wie Chips hier heißen. Ich fühle mich beobachtet. Gestern erst haben wir darüber gesprochen, dass eine Freundin während ihres Englandurlaubs übel verprügelt wurde, als sie in einer Bar auf ihre Fähre wartete. Wo ist sie doch gleich abgefahren? Ich kann mich nicht erinnern.
Mit dem Gedanken daran geh ich aufs Klo. Um den Gedanken an den Vorfall zur Seite zu schieben, beruhige ich mich mit dem Gedanken: wenn dir niemand folgt wird nichts passieren. Die Tür geht nicht ganz hinter mir zu und ein Typ mit rotem Irokesen, Zahnlücken und Fussballtätowierungen kommt mir nach. Ich tue was Mann so tut und kehre unversehrt zurück. Macht Cider etwa paranoid? So viele und durchweg gute Erfahrungen und trotzdem so ein Unwohlsein. Es hilft nur mehr Cider.

der verlorene Personalausweis

Kurz vor der Fahruntüchtigkeit geht es zum Hafen. Um 19:30 Ortszeit geht es los. Pünktlich zum Anstoß hoffe ich in der Kabine zu sein. Ich bereite mich vor uns lege alles bereit. Ausdruck der Buchungsbestätigung und den Personalausweis… Verfickte Scheisse wo ist das Teil. Nicht im Portemonnaie, nicht in der Sammeltasche, nicht in den Seitentaschen. Karo! Hast du meinen Perso gesehen? Wir kramen hektisch rum. Nichts. In keiner Tasche in keinem Beutel. Nicht so wirklich gut, aber besser jetzt als bei der Einreise. Ich rufe im Hotel an und frage nach Fundstücken die meinem Perso ähneln. Nichts wurde gefunden.
Ich frage eine der Verantwortlichen. Sie schickt mich zu einem Schalter, um dort so schnell wie möglich alles zu besprechen.
Ich erkläre die Umstände. Dass ich davon ausgehe ihn im Hotel vergessen zu haben, sie ihn dort aber nicht gefunden haben. Mehr aus Verlegenheit übergebe ich den rosafarbenen Führerschein und die Krankenkassenkarte. Könnte ja klappen. Ich rede und erzähle davon, dass er meine Beziehung retten würde und was mir sonst noch so einfiel.
Ich soll später wiederkommen, er würde erstmal die anderen abfertigen.
Ich berichte Karo. Ein Anflug von Erleichterung kommt auf. Wir stellen uns an und hardern der Dinge die da kommen. Die Nummer mit dem Anstoß ist aber wohl gelaufen.

Wir sind dran und die letzen dieser Welle Check-In-Williger. Er erkennt mich sofort, bittet um meine Papiere und verlässt mit ihnen seine Kabine. Er muss mit Rotterdam telefonieren. Er würde mich rauslassen, aber ob die mich reinlassen muss geklärt werden. Im schlimmsten Falle muss ich mit dem Rad oder der Bahn zur Botschaft einen vorläufigen Pass beantragen, die Fähre erneut buchen und bezahlen und wieder zurück. Für heute Samstag 20:45 sieht er da keine Chance mehr.

CheckIn und #GERITA

Er verschwindet und lässt uns warten. Mittlerweile rollt der Ball #GERITA.
Es dauert und ich verfolge das Spiel im Liveticker. Endlich kommt er zurück. Er lässt sich nichts anmerken. Er setzte sich und ich meine ein Lächeln im Profil zu erkennen.
7€ weil nur ein Fahrrad angemeldet ist. Es scheint ein unpassender Zeitpunkt um zu widersprechen, daher zahlen wir. Er überreicht uns die Boardingpässe und lässt sich von mir feiern. Es ist nicht selbstverständlich. Es kommt sehr darauf an, wen man auf der anderen Seite antrifft und wen man hier, um so etwas bittet. Es steht 0:0 #GERITA und wir dürfen in die Boardingschlange vorfahren.
Es wird bis zur 65 Minute dauern bis ich einem Fernseher vor mir habe. Was heute mehr zählt der Sieg über Italien oder der über die Bürokratie weiß ich nicht, aber noch bin ich nicht auf niederländischen Boden. Erleichterung gepaart mit Müdigkeit gepaart mit emotionalem Siegestaumel. Was ein Tag!