Von Köln über Waltrop nach Aldersloh
Tag 1 von Köln nach Waltrop
Es geht los. Endlich wieder auf Tour.
Wir sind überrascht als wir unser Gepäck sehen, und noch überraschter als wir es anheben. Wir sprechen beide unsere Zweifel aus, ob wir es nicht bereuen, all das Gelumpe (ostdeutsch für Zeugs) mitzuschleppen. Und wie es sich gehört schmeissen wir die gesamte Planung 20 Minuten vor Abfahrt über den Haufen.
Das Zelt und alles Zubehör wird aussortiert und damit die Entscheidung pro Dusche und Pension/Hotel getroffen. Damit wird unser Gepäck gefühlte 80 kg leichter und handlicher. Auf den letzten Drücker wird das Tagesgeldkonto geschröpft und so der finanzielle Grundstein für die Luxusvariante der Tour gelegt. Wir werden ja auch nicht jünger und die Lust das Zelt jeden Tag auf und wieder abzubauen hält sich in Grenzen. Der Rücken, ihr wisst schon…
Die zweite naja eigentlich erste Planänderung ist bereits am Tag zuvor passiert. Anstatt loszufahren haben wir lieber einen Tag auf der Couch “vorerholt” und die Route definiert – natürlich mit Campingplätzen, die wir nach der neusten Anpassung nicht mehr anfahren werden… man könnte es Durcheinander nennen. Naja hier arbeiten Profis… wankelmütige Profis.
Gut also abgesehen davon, dass wir direkt am ersten Tag cheaten und die erste Etappe nach Essen mit dem Zug zurück legen und das Camping streichen bleibt alles beim alten :D.
Zugfahren mit dem Rad ist immer etwas besonderes. Im Gegensatz zu den anderen Passagieren, ist man hier aufeinander angewiesen. Es wird rangiert, ein und ausgeparkt und über die Pläne gesprochen – und über die kooperationsunwilligen gewütet. Alles in Allem also viel kommunikativer als in den üblichen Abteilen.
Unser Wissen der letzten Tour zahlt sich aus, denn wir sind bestens vorbereitet, um unsere Räder einzuparken und zu sichern.
Die Kommunikation läuft auch rund, denn es gibt immer etwas zu besprechen. In unserem Fall die defekte Tür des Klos, die immer auf und zufährt – bis ein paar Siegener Ultras uns zeigen, wie man das “repariert”. Es gibt immer was lernen, und manchmal ist man überrascht von wem. Man könnte ihnen fast verzeihen, dass sie auf dem Klo geraucht haben, allerdings nur fast. Ein ganz klein wenig Schadenfreude haben wir, als der Schaffner die illegale Räucherkammer radikal räumt.
In Essen angekommen geht es endlich aufs Rad. Wer ein Bild von Essen vor Augen hat – so wie ich, denn ich bin von Essenern gezeugt und großgezogen worden – wird sich wundern, wie komfortable und gut geleitet man quer durch die Stadt und das Ruhrgebiet fährt und sich durch Wälder und Parkanlagen oder vorbei an Kanälen seinen Weg bahnt. Die erste Route ist etwa 45 km lang und die Autos denen wir begegnen kann man fast an einer Hand abzählen.
Wer etwas lernen will: Komoot.de ist der Tipp der Tipps (auf Grund von Datenschutz, nennen wir den entscheidenden Tipp-Geber an dieser Stelle nur Mr. M.). Sehr intuitive und komfortable Routenplanung, nur für den Export muss man etwa Geld in die Hand nehmen. Mit Komoot sind alle Routen für die nächsten 12 Tage vorbereitet. 800 km von Köln über Waltrop, Rheda-Wiedenbrück, Dömitz und Havelsee nach Großbeeren im Süden Berlins.
Man merkt das Sonntag ist und auch dass das Wetter stimmt. Die Radwege sind gut besucht, aber so richtig stören tut es noch nicht. Die Kanalidylle ist Lohn genug und lenkt von den anderen Radlern und Spaziergängern ab. Wer hier Rad gefahren ist, will eigentlich nicht mehr zurück in die schlechte Luft und die Radinfrastruktur von Köln. Wer mal einen Tag Langeweile hat, sollte sich mal hierher begeben. Die Route geben wir gerne weiter.
Wie immer ist der erste Tag nicht der leichteste. Auch wenn die Route so gewählt ist, dass es kaum Steigungen gibt, muss sich das Sitzfleisch erstmal daran gewöhnen, dass es keinen Bürostuhl mehr gibt sondern den Sattel. Zum Glück ist die erste Tour mit ca 45 km recht kurz, sodass man sich langsam eingrooven kann.
Als Highlight der ersten Etappe kommen wir gegen Abend bei meiner Schwester und ihrem Freund an und wir werden fürstlich bewirtet und versorgt. In Waltrop lässt es sich aushalten – zumindest in der Stadtrandlage mit den Kanälen und Naherholungsgebieten direkt hinter dem Haus. Savoir vivre kann meine Familie!
Tag 2 von Waltrop nach Aldersloh
Nach der nächtlichen Ruhe folgt der Tatendrang. Frisch gestärkt und gedopt mit dem besten Kaffee seit langem geht es gegen Mittag los. Beim beladen müssen wir uns noch etwas eingrooven aber alle Mäkel des Vortages sind beseitigt, mit bestem Reifendruck geht es weiter in Richtung der angepassten Route der Grobplanung. Ein Schlenker weniger dafür 20 km mehr in Richtung Ziel. Der kluge Radreisende reserviert per Telefonat, inspiziert das Lager und reitet mit frischen Oberschenkeln los.
Zunächst führt uns der Weg entlang von Kanälen und Waldwegen, idyllisch und traumhaft schön. Ein Radreisenparadies. Kein Auto, kaum andere Menschen und wenn dann nur sehr freundliche, die die Externen Fragen ob da hinten die Lippe ist. Man lässt sich auch nicht davon beirren, dass wir aus Köln sind, aber zumindest kann man ihnen mitgeben, dass es in diese Richtung schön ist und dass es dort einen grossen Kanal gibt – vermutlich die Lippe, oder der Weser-Ems-Datteln-Kanal. Darin war ich immer schon schlecht, Flussnamen und ihre Verläufe. Wir sind laut dem betagten Herren gerade an einem toten Arm der Lippe, und laut einer kleinen Geschichtsstunde am Abend zuvor, wurden diese Kanäle vor einiger Zeit ins Leben gerufen, weil ein skandinavischer Wasserwirtschaftswissender davon überzeugt war, dass man die Kohle und den Stahl billiger per Schiff transportieren kann als per Schiene. Das gute daran ist das Vermächtnis, denn es sind schöne Strecken quer durch das dicht besiedelte Gebiet Europas und man trifft keine Autos und nur wenige Menschen.
Grob fahren wir in Richtung Münster und damit durch meine alte Heimat, dem Münsterland und vermutlich immer an der Grenze zu Westfalen. Schon früh verlassen wir die geplante Route, da wir Wege durch die Bauernschaft nutzen wollen. Die Straßen sind in sehr gutem Zustand, kaum befahren und in bester Umgebung. “Binnen durch” nannte man dass in meinem Heimatdorf – also über die Landwirtschaftswege von Ort zu Ort ohne die Bundesstraßen zu benutzen bzw. sie möglichst wenig zu benutzen.
Vielleicht ist euch aufgefallen, dass bisher wenig geklagt wurde. Ja diese Route wurde mit Sinn und Verstand ausgewählt und führt durch plattes Land. Die Steigungen im letzten Jahr wollten wir uns in diesem Jahr nicht antun, daher fahren wir nicht den direkten Weg durch den Harz, denn da hat sich mein Fiesta schon immer sehr gequält, ich mag mir nicht vorstellen, wie wir auf dem Weg gelitten hätten.
So schlängelt sich unser Weg durch idyllische Landschaften, ohne zu viel von uns abzuverlangen – allerdings fahren wir zur Zeit auch auf Sparflamme. 45-55 km sind zum warm werden, um es bis nach Berlin zu schaffen, müssen wir das Pensum noch etwas anziehen oder cheaten (Öhm, natürlich nur im Notfall).
Ohne Vorkommnisse gibt es nicht viel zu berichten, daher gibt es noch einen Fakt für die wissbegierigen: Im Münsterland gibt es einige Ortschaften mit einem stummen Vokal – ähnlich dem von Troisdorf, nur hier ist es ein e. So gibt es hier Coesfeld und Raesfeld (welches mein Heimatdorf ist) und sie werden nicht Cösfeld oder Räsfeld sondern Cosfeld und Rasfeld ausgesprochen. Ihr Sprachwissenschaftler könnt dass bestimmt in den Kommentaren erklären – ich bin da schließlich nur hier aufgewachsen.